„Schätzel, adé!“

Nachricht 10. Oktober 2021

Mit dem Lemförder Pastor Eckhart Schätzel geht ein starker Charakter in den Ruhestand

LEMFÖRDE. Er wäre vielleicht Weinbauer geworden, wenn die Theologie nicht dazwischengekommen wäre. Oder Germanist, Landschaftsgärtner, Textilfärbemeister. Schauspieler ganz sicher nicht. Eckhart Schätzel ist ein großer Mann mit Bart und wachen, freundlichen Augen, der schnell denkt und ruhig spricht. Seine Sprache ist deutlich, trotz eines unverkennbaren hessischen Dialekts. Aber auch sonst ist er keiner, den man erst interpretieren muss. Wie er ist, was er sagt, was er will oder nicht will, wird sehr schnell klar. Wenn ihn etwas beschäftigt, positiv wie negativ, dann merkt man es auf weite Entfernung. Stört ihn was oder findet er etwas ungerecht, dann spürt man das Brodeln regelrecht, er lässt sein Gegenüber ausreden, aber dann gibt‘s schon mal eine Ansage, die keine Fragen mehr offenlässt. Genauso stark reagiert er, wenn ihn was beeindruckt oder ihm etwas gefällt. Dann blitzt die Begeisterung in seinen Augen und er findet Worte, die schöner, respektvoller und wertschätzender nicht sein könnten.

Am Sonntag, 17. Oktober, wird der konsequente Pastor in den Ruhestand verabschiedet. Der Abschiedsgottesdienst beginnt um 15 Uhr in der Martin-Luther-Kirche Lemförde.

Geboren und aufgewachsen in einer Weinbauernfamilie in Rheinhessen, war für Eckhart Schätzel als ältestem von drei Jungs eigentlich ein anderer Werdegang vorgesehen: „Wir hatten nicht die Situation wie heutzutage; bei uns war klar: Einer macht den Hof weiter. Daran gab es nichts zu rütteln.“ Zum Glück war der mittlere Bruder bereit, „dafür bin ich ihm bis heute dankbar, sonst wäre mein Leben wohl komplett anders verlaufen.“

Der Vater war Kirchenvorsteher, aber er selbst kam durch die Mitarbeit und die Gemeinschaft in der Evangelischen Jugend zur Kirche, „und das Glaubensthema hat mich nicht mehr losgelassen.“ Im ersten Studienjahr in Tübingen probierte er im Studium Generale im Leibniz Kolleg mehrere Richtungen aus – „ich hatte jede Menge Ideen, was ich machen wollte: Entwicklungshilfe, Landwirtschaft, Geschichte, Germanistik... Aber am Ende war es diese Sache mit Gott, die mich am meisten interessierte“. 

Er studierte Theologie in Tübingen, in Basel in der Schweiz, in Bielefeld, wo er seine Frau Gisela Schwarz kennenlernte, und in Marburg. Nach dem Studium arbeitete er erst mal etwas ganz anderes und färbte Stoffe für Polstermöbel. Dann begann er sein Vikariat in der Region Gießen und blieb als Pastor zehn Jahre in seiner ersten Gemeinde in Gießen-Kleinlinden. In dieser Zeit wurden alle vier Kinder geboren. Aber „ich war immer der Überzeugung, dass es gut ist, alle zehn Jahre was Neues zu machen. Nicht jeder ist mit mir glücklich, ich passe auch nicht zu allen – da ist es hilfreich, neue Anfänge zu wagen“. 

So zog Familie Schwarz-Schätzel in den Norden – nach Freistatt. „Dort konnte meine Frau als Diakonin arbeiten, und uns beide reizte die Arbeit in dieser Kirchengemeinde in einem diakonischen Dorf mit dem kleinen, alternativ geführten Tagungshaus ,Werkstatt Wegwende‘ mitten im Moor und dem klaren Schwerpunkt auf Seelsorge. Das war eine spannende Zeit.“

Nach zwölf Jahren sollte es zurück in die hessische Landeskirche gehen, schließlich war er als Pastor nur ausgeliehen. „Aber da haben unsere Kinder gemeutert. Sie wollten nicht weg. So haben wir uns im Kirchenkreis Diepholz umgesehen, und diese Stelle in Lemförde war frei“, erzählt Eckhart Schätzel. „Tja, und bald waren alle Kinder weg – Michael lebt im Münsterland; Lena ist in Texas mit ihrer Familie, Hans in Berlin, Kathrin in Hamburg. Und meine Frau und ich sind immer noch in Lemförde. Seit 14 Jahren. Das war die längste Station von allen.“

Dabei schüttelte der Kirchenvorstand damals erst mal den Kopf, als Schätzel sich vorstellte und sofort deutlich machte, wo für ihn als Pastor sein Schwerpunkt liegt: „Das war für mich immer die Seelsorge. In Freistatt wäre auch nichts anderes gegangen. In Lemförde bekam ich aber erst mal zu hören: ,Seelsorge in einem größeren Maß? Nein, Herr Pastor, das brauchen wir hier nicht! So viele Probleme gibt’s hier nicht…‘“ Schätzel lacht. „Ich habe das als Herausforderung gesehen und gesagt: ,Ich zeige Euch, dass das geht.‘“

 

Und es ging. Schätzel installierte einen Besuchsdienstkreis, dem es um mehr geht als um Geburtstagsbesuche bei Senioren. Er bildete die Ehrenamtlichen professionell in seelsorgerlicher Begleitung aus, schulte sie regelmäßig. Er bot in den Sommermonaten eine wöchentliche Seelsorge-Sprechzeit in der Kirche an, zu der jeder kommen konnte. „Ich selbst bin vor allem ein Freund von aufsuchender Seelsorge: Ich warte nicht bis zu einem Geburtstag oder Todesfall – wenn ich mitbekomme, dass es irgendwo ein Problem oder einen Anlass gibt, dann gehe ich zu den Leuten hin und klingele.“

Warum ihm das genaue Hingucken, das Kümmern um Menschen in schwierigen Situationen, die klare Sprache, das Zuhören und Beobachten so wichtig sind, hat auch mit seinem eigenen Leben zu tun: Michael, der älteste Sohn, kam mit einer schweren Behinderung zur Welt. „Das hat nicht nur mein Leben, sondern auch meine theologische Position geprägt. Durch meinen Sohn, der nicht sprechen kann, habe ich gelernt, auch in der Seelsorge anders zu arbeiten. 

Ich achte sehr deutlich auf alle Körpersignale und habe Zugang zu Leuten in Grenzsituationen des Lebens, wenn sie nicht mehr sprechen können. Das sind Sachen, die ich Michael verdanke.“

Genauso wie den Wohnortwechsel, der nun ansteht. „Michael ist in seiner diakonischen Einrichtung zu Hause und hat sogar einen extra für ihn eingerichteten Arbeitsplatz, das ist Gold wert. Also haben wir um seinen Lebensmittelpunkt einen Radius gezogen und eine rollstuhlgerechte Wohnung gesucht, die auch seinen Bedürfnissen entspricht, damit er uns, genauso wie seine Geschwister, regelmäßig besuchen kann. Gefunden haben wir sie in Bielefeld. Und damit sind wir glücklich. Dort sind meine Frau und ich uns ja auch begegnet, da kennen wir uns aus.“

Vermissen wird er Lemförde, die Arbeit in der Region und im Kirchenkreis natürlich. Die Menschen, das Arbeiten im Team, die Gottesdienste, das Gemeindeleben. Die herausragende Jugendarbeit vor Ort, das „Konfirmanden-Ferien-Seminar“. Den von ihm initiierten „Trio Sonntag“ mit aktuellen und brisanten Themen, Referenten, Diskussionen und gemeinsamem Mittagessen. Die enge Zusammenarbeit mit dem Diakonischen Werk und dem Diakonissen-Mutterhaus Altvandsburg. Das Über-den-Tellerrand-Blicken in der Partnerschaftsarbeit mit Baboua/Zentralafrika oder im neuen Projekt „NesT“ (Neustart im Team), in dem die Gemeinden Barnstorf und Lemförde eine somalische Familie, die sieben Jahre lang auf der Flucht war, beim Ankommen, Integrieren und „auf die Füße Kommen“ vor Ort begleiten. „Ökumenische Lerngemeinschaft“ nennt Schätzel das.

Dass der Kirchenvorstand die Gemeinde gut durch die nun entstehende Vakanz bringen wird, davon ist der 65-Jährige überzeugt. „Das sind hochmotivierte Leute aus den unterschiedlichsten Erfahrungsfeldern, die was wollen und was können. Und Bettina Burkhardt, Pastorin in Brockum und Burlage, ist ein großes Geschenk für die Zusammenarbeit. Die werden das zusammen hinbekommen.“

Wie er selbst gerne in Erinnerung bleiben möchte? „Ich hab nicht allen nach dem Mund geredet und bin gelegentlich angeeckt. Das hat manche gestört, manche gefreut. Aber ich konnte hier so bleiben, wie ich bin“. Eckhart Schätzel lacht. „Und so werden sich die Leute wohl an mich erinnern.“ 

Miriam Unger