„Vielen fiel es schwer, über Diskriminierung zu sprechen. Andere hatten Erfahrungen damit.“

30. Oktober 2023

Im Interview: Doreen Hodde, staatlich anerkannte Sozialpädagogin in unserem Diakonischen Werk, über das Projekt „Respekt Coach“

Doreen Hodde ist 26 Jahre alt und wohnt in Heede. Sie arbeitet als staatlich anerkannte Sozialpädagogin in unserem Diakonischen Werk Diepholz-Syke-Hoya – seit Anfang des Jahres in der Sozialen Schuldnerberatung, davor in der Kirchenkreissozialarbeit und im Jugendmigrationsdienst. 2021 begann sie mit viel Engagement eine Projektstelle als „Respekt Coach“. Was sie da gemacht hat und für wie wichtig sie das Projekt heute noch hält, erzählt sie im Interview.

Liebe Doreen Hodde, Sie haben mehr als ein Jahr als „Respekt Coach“ in unserem Diakonischen Werk gearbeitet. Was ist ein „Respekt Coach“? Wofür braucht man so jemanden?
„Ein „Respekt Coach“ geht an Schulen und arbeitet mit den jungen Menschen zu den Themen Diskriminierung, Rassismus, gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und ähnliches. Gerade in unserer heutigen sehr interkulturellen Gesellschaft ist es wichtig, Kinder und Jugendliche dafür zu sensibilisieren und ihnen vor Augen zu führen, was Diskriminierung bedeutet - für einen selbst und für die Gesellschaft, in der wir leben.
Ich hatte eine Kooperationsschule, in der ich gearbeitet und mit den Schüler*innen über diese Themen gesprochen habe.

Wie sah diese Arbeit aus? Was genau haben Sie gemacht?
Ich habe an der Schule Projekte entwickelt in Zusammenarbeit mit den Lehrer*innen und Schüler*innen. Zum Teil habe ich Angebot selbst durchgeführt, für andere Angebote habe ich externe Bildungsträger*innen in die Schule geholt. Ich habe vor allem viel mit den Jugendlichen gesprochen. Auch, um eine gute Vertrauensbasis zu schaffen.
Im fünften Jahrgang haben wir zum Beispiel eine Projektwoche organisiert. Dafür kam ein externer Verein jeden Tag in die Schule und machte mit Kindern Rollenspiele zu den Themen Klassengemeinschaft, Mobbing und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit. Man merkte schnell, dass das alle ins Nachdenken brachte.
Ein weiteres Angebot haben wir über ein Schulhalbjahr an den Werte- und Normen-Unterricht des neunten Jahrgangs angegliedert. Darin ging es um Rassismus. Zu Beginn haben wir erst mal allgemein auf das Thema raufgeschaut, es wurden Begrifflichkeiten geklärt und die Schüler*innen konnten sich langsam annähern. Zum Ende des Halbjahres sollten die sie dann ihre eigenen Einstellungen reflektieren. Vielen von ihnen fiel es erkennbar schwer darüber zu sprechen, andere konnten bereits von rassistischen Erfahrungen berichten, die sie selbst gemacht hatten.
Einen großen Teil meiner Arbeit als „Respekt Coach“ drehte sich darum, mit den Kindern und Jugendlichen über ihre Gefühle und Erlebnisse zu sprechen. Sie sollten einen geschützten Raum bekommen und zusätzlich ihr Wissen erweitern.“

Was hat an diesem Projekt gut funktioniert und ist aus Ihrer Sicht wichtig und sinnvoll?
„Um überhaupt erst mit Leuten aus dieser Zielgruppe zu so sensiblen Themen wie Rassismus und Diskriminierung arbeiten zu können, ist es unerlässlich, eine gute Vertrauensebene zu schaffen und Grundlagen für Respekt und Akzeptanz. Das hat meist sehr gut funktioniert. Die Schüler*innen wussten, dass ich nicht zum Schulsystem gehöre und waren daher eher bereit, sich zu öffnen.

Gab es auch Dinge, die gehakt und nicht gut geklappt haben? Oder die in der Anlage so eines Projekts nicht gut genug durchdacht waren?
Natürlich gab es Punkte, die nicht gut funktioniert haben. Ein gut implementiertes Präventionskonzept braucht mindestens acht Jahre für die Umsetzung. Da hat dieses Jahr natürlich nur sehr schwer ausgereicht.
Außerdem ist die Kommunikation mit und unter den Mitarbeitenden in Schulen manchmal sehr schwierig. Die meisten sind voll ausgelastet und beschäftigen sich mit anderen Problemen. Da wird eine weitere Projektstelle mit einem neuen Angebot nur als Belastung wahrgenommen – obwohl wir ja als Entlastung dienen sollten.“

Was war das genau für eine Projekt-Stelle – wer hat sie finanziert, für wie lange und warum?
„Das „Respekt Coach“-Projekt wurde im März 2018 gestartet und finanziert durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Im Jahr 2022 gab es dafür mehr als 220 Stellen in ganz Deutschland, die an die unterschiedlichen Wohlfahrtsverbände angegliedert waren. Außerdem gehörten alle „Respekt Coaches“ den Jugendmigrationsdiensten an und haben dort eng mit den Beratungsstellen zusammengearbeitet.“

Und warum ging es mit dem Projekt danach nicht weiter?
Die Stellen wurden in ganz Deutschland gekürzt. Daraufhin habe ich mich umorientiert.“


Auf der einen Seite gewinnt die AfD in Deutschland besorgniserregend an Akzeptanz und feiert Wahlerfolge. Auf der anderen Seite wird so ein Projekt eingestellt. Können Sie das verstehen?
„Nein, kann ich nicht. Die „Respekt Coaches“ in ganz Deutschland haben zahlreiche wichtige Projekte initiiert und gute Zusammenarbeiten geschaffen. Wenn man sich im Netz umschaut, findet man dazu noch viele Videos und Material, das entstanden ist.
So einen Fortschritt zu zerstören, ist nach meiner Einstellung nicht zukunfts- und zielorientiert. Es werden zwar jetzt wieder andere Projekte gefördert, die ähnlich aufgestellt sind, aber die Ergebnisse und Erfahrungen aus diesem Projekt, die ja schon da waren, können so ja leider nicht mehr genutzt werden."


Für wie wichtig halten Sie aktuell Präventionsarbeit an Schulen zum Thema Rassismus und Diskriminierung?
Ich glaube, dass in einem sozialen System wie Schule Mitarbeitende, die nicht die Durchsetzung des Rahmenlehrplans verfolgen, sehr wichtig sind. Fachkräfte für Sonderthemen von außen, so wie es die „Respekt Coaches“ waren, haben andere Möglichkeiten, den jungen Menschen Fähigkeiten beizubringen, die im Schulalltag schnell hinten rüberfallen.
Gerade in unserer heutigen Zeit ist es wichtig, dass es für junge Leute Präventionsangebote zu Themen wie Rassismus, Diskriminierung oder Zivilcourage gibt. Ansonsten fehlen das Wissen und die Bildung dazu irgendwann vollständig, und das halte ich für gefährlich.
In diesen Projekten stand auch immer die Stärkung der Selbstwirksamkeit und das Empowerment der jungen Menschen im Mittelpunkt – also das Erlernen von Strategien, die ihnen dabei helfen, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Das findet im Unterricht ja meist auch nicht statt.“


Wie geht es jetzt weiter mit dem Thema?
Laut Jugendmigrationsdiensten sollen Möglichkeiten geschaffen werden, dass die Arbeit der „Respekt Coaches“ doch noch fortgesetzt wird und an die Beratung der Jugendmigrationsdienste angegliedert wird. Das würde ich mir wünschen.“

Miriam Unger