Gottes Barmherzigkeit und wir

02. Januar 2021

Wort zum Sonntag

Kathrin Wiggermann; Foto: privat

am 2. Januar 2021

Der „Barmherzige Samariter“ ist ein echter Dauerbrenner. Ob in der Schule, in der Konfirmandenstunde oder im Gottesdienst: Die Geschichte ist einfach gut. Jesus erklärt seinen Zuhörern, wer ihr „Nächster“ ist. (Aufgeschrieben im Lukasevangelium Kapitel 10) Jedoch stolpere ich zunehmend über ein Verständnisproblem, mit dem ich früher nicht gerechnet habe. Spreche ich wie selbstverständlich vom „Barmherzigen Samariter“, fragen die Kinder nicht nur, was „Samariter“ heißt, sondern auch, was „barmherzig“ ist. Viele haben keine Vorstellung davon, was man mit diesem Wort ausdrückt.

Dabei ist „Barmherzigkeit“ eigentlich ein altes, gebräuchliches deutsches Wort.

Doch fragt man mal beim Digitalen Wörterbuch Deutscher Sprache nach, so ist die Popularität dieses Wortes seit dem 17. Jahrhundert rapide gesunken. Meine Erfahrung aus dem Unterricht unterstützt diese Statistik.

Die bildreiche hebräische Sprache des Alten Testaments mag uns helfen, das Wort „Barmherzigkeit“ (neu) mit Leben zu füllen. Barmherzigkeit, Eingeweide, Mutterleib: alle drei Worte heißen auf Hebräisch „rächäm“. Denn barmherzig ist, wer sich mit Leib und Seele, von innen heraus einem armen und elenden Geschöpf zuwendet. Barmherzigkeit entsteht durch ein am ganzen Körper gefühltes Mitleid.

In der Barmherzigkeit nimmt man sich also voll und ganz seines Gegenübers an – ohne Berechnung, ohne Hintergedanken, was für einen selbst dabei herausspringen könnte. Für Barmherzigkeit gibt es keinen Plan und keinen Lohn. Sie kommt von innen, von dort, wo tief in uns das zarte Mitgefühl sitzt, und umfängt den anderen, wie eine Mutter ihr neugeborenes Kind.

Von dieser Barmherzigkeit redet auch Jesus.

„Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist.“ (Lukas 6,36)

Dieser Bibelvers ist ausgelost worden, uns durch das Jahr 2021 zu begleiten. Eine deutliche Aufforderung, uns anrühren zu lassen von anderen Menschen und uns ihnen zuzuwenden – ohne Wenn und Aber. Aus lauter tiefem Mitgefühl. Dabei geht es nicht darum, ob andere Menschen das auch tun. Gott, der barmherzige Vater, ist unser Vorbild.

Das Jahr liegt vor uns: offen und mit vielen Möglichkeiten. Die biblische Losung macht doch Mut, Barmherzigkeit eine ganz reale Möglichkeit werden zu lassen. Von innen heraus und ganz ohne Berechnung.

Ich wünsche allen Leserinnen und Lesern ein gesegnetes neues Jahr und hoffe, dass Sie alle Gottes Barmherzigkeit spüren und weitergeben können!

Pastorin Kathrin Wiggermann, St. Michaelis, Diepholz