Selbstverständlich?

01. Oktober 2022

Wort zum Sonntag

Superintendent Marten Lensch, Foto: Jantje Ehlers

am 1. Oktober 2022

Als Kind war für mich alles selbstverständlich: Wenn ich Hunger hatte, bekam ich etwas zu essen. Wenn es kalt war, wurde die Heizung aufgedreht. Wenn ich krank war, ging ich zum Arzt und bekam Medizin. Im Sommer war es warm, aber nicht heiß, im Winter lag Schnee. Und natürlich war meine Welt friedlich. Ich habe mir darüber nicht viele Gedanken gemacht. Es war einfach da, was ich zum Leben brauchte.

Heute sind viele Selbstverständlichkeiten vorbei: Die Corona-Pandemie, der Ukraine-Krieg, zu trockene Sommer und die Energie- und Lieferengpässe machen deutlich, wie zerbrechlich unsere Schöpfung ist und dass wir als Menschen so vieles nicht in der Hand haben.

Die Krisen sind ein Augenöffner: Sie lassen uns schärfer sehen, dass wir dennoch oft noch viel Gutes im Leben haben: Die meisten haben – auch wenn es teurer wird – noch genug zu essen. Wir leben in Deutschland nach wie vor in Frieden. Wir haben liebe Mitmenschen, die für uns da sind. Dafür bin ich dankbar. Gut ist es, dass das Erntedankfest uns einlädt, dankbar zu sein.

Gleichzeitig öffnen mir die Krisen auch die Augen für die Not anderer Menschen. Viele Menschen werden in diesem Jahr bei uns frieren und haben Angst, dass ihr Geld nicht reicht, um über den Winter zu kommen. Natürlich werden weiterhin Menschen aus Kriegsgebieten oder, weil sie der Hunger hertreibt, zu uns nach Deutschland kommen. Sie kommen aus Not zu uns, weil sie sonst nicht mehr leben können.

In einem Kirchenlied aus meinen Kindertagen heißt es: „Wenn jeder gibt, was er hat, dann werden alles satt.“ Ich wünsche mir, dass die Menschen in unserem Land, die genug haben (auch wenn sie den Gürtel vielleicht ein wenig enger schnallen müssen), dennoch die Not der anderen sehen und von dem, was sie haben, abgeben, damit alle satt werden und alle warm und sicher durch die kalte Jahreszeit kommen.

Dankbar blicke ich auf all das Gute, was Gott mir zum Leben schenkt – es ist nicht selbstverständlich.

Ich wünsche Ihnen ein gesegnetes Erntedankfest.

Herzliche Grüße
Ihr Marten Lensch
Superintendent im Kirchenkreis Grafschaft Diepholz