am 19. Juli 2025
Eine Frau schreibt über ihre Erinnerungen an den Gott ihrer Kindheit (Jutta Richter, Himmel, Hölle, Fegefeuer. Versuch einer Befreiung.).
"Ich erinnere mich dass es eigentlich zwei Götter gab: Den lieben Gott meiner Mutter und den lieben Gott der Schwester, die im Kindergarten arbeitete. Und diese beiden Götter waren ganz unterschiedlich.
Der liebe Gott meiner Mutter war der Vater des Schutzengels. Er war ein freundlicher alter Herr, dem die Himmelsschlüssel aus der Hand gefallen waren und jetzt als Schlüsselblumen am Bach wuchsen.
Der liebe Gott meiner Mutter war im Sommer ein leidenschaftlicher Gärtner, der über Feld und Wiese geht und alles sprießen und gedeihen lässt.
Und ab September arbeitete er in der himmlischen Bäckerei, aushilfsweise, zusammen mit kleinen pausbackigen Engeln, deren Schicht mit dem Abendrot begann.....
Der liebe Gott meiner Mutter wäre niemals auf den Gedanken gekommen hinter Kindern herzuspionieren, er machte lieber beide Augen zu und schickte seinen Schutzengel an die rechte Seite meines Bettes."
Das ist der eine Gott, von dem die Frau uns berichtet. Doch dieser Gott hatte einen Fehler. Er starb als sie fünf war, und an seine Stelle tritt ein ganz anderer Gott. Der Gott der Kindergartenschwester. Dieser Gott war nämlich stets darauf bedacht, alles zu sehen, alles zu wissen und alles zu bestrafen. Wer böse ist, der tut dem lieben Gott weh. Ein gutes Kind isst seinen Teller leer. Ein gutes Kind macht sich nicht schmutzig. Ein gutes Kind nascht nicht. Welches Kind will da noch lieb sein, um dem lieben Gott einen Gefallen zu tun?
Erkennen Sie sich wieder?
Welcher Gott ist geblieben, jetzt wo Sie erwachsen sind?
Ist es der Gott, der mich von der Angst befreit, so dass ich ruhig werde und einschlafen kann? Oder ist es der Gott, der mir pausenlos ein schlechtes Gewissen macht?
Im Neuen Testament steht dazu der Satz: Zur Freiheit hat euch Christus befreit. So steht nun fest und lasst euch nicht wieder unter das Joch der Knechtschaft zwingen.
Ich kann es auch so sagen: Christus hat uns frei gemacht. Das soll auch so bleiben. Und der hat Glück, der als Kind erfahren hat, dass Gott einer Ist, der frei macht von Angst, keiner der Angst macht.
Schwer genug bleibt es mit dem Glauben an Gott, doch es wird leichter und hilfreicher, wenn wir auf Erfahrungen der Kindheit zurückgreifen können mit dem Gott, der Freiheit gewährt und Schutz und Geborgenheit.
Andreas Ruh, Klinikseelsorger