Zeitmanagement für Sterbliche

14. Januar 2023

Wort zum Sonntag

Kathrin Wiggermann; Foto: privat

am 14. Januar 2023

„Mir wird das alles zu viel.“ Diesen Satz höre ich öfter mal. Auch von mir selbst. Gerade vor Weihnachten war das so. Das ist ja auch klar, da ist so viel zu tun. Für eigentlich alle. Es scheint allerdings so, als finge das neue Jahr auch mit „ganz schön viel“ wieder an, als käme eine ganze Gesellschaft nicht aus dem „Mir-wird-das-alles-zu-viel“ heraus. Wie kommt das? Untersuchungen haben gezeigt, dass viele Menschen unter dem Druck leiden, viele verschiedene Aufgaben gleichzeitig bedenken und erledigen zu müssen. Andere empfinden häufige Unterbrechungen ihrer Arbeitsabläufe als kraftraubend. Dazu kommen die vielen Informationen, denen wir täglich ausgesetzt sind, die wir ja „nebenbei“ auch noch verarbeiten müssen oder wollen. Dank moderner Informationstechnik haben wir von allem immer mehr. Nur eines vermehrt sich dabei leider nicht: die Zeit. Da lese ich in einer Wochenzeitung vom „Zeitmanagement für Sterbliche“ und denke: Mit der Sterblichkeit von Menschen beschäftige ich mich ja öfter. Was ist mit damit wohl gemeint? Eines verstehe ich sofort: unsere Lebenszeit ist endlich. Die Möglichkeiten, diese Zeit zu gestalten, sind dagegen unendlich: es gibt immer mehr Fernsehprogramme, mehr Konsumprodukte, Kleidungsstile, Freizeitangebote und Informationskanäle – nur eben nicht mehr Zeit. Ständig sind wir also herausgefordert zu entscheiden, was wir wann machen – und wie schnell. Das stresst in der Tat. „Meine Zeit steht in deinen Händen.“ So steht es in einem Psalm der Bibel. So steht es übrigens auch auf dem schmiedeeisernen Friedhofstor in Diepholz. Hilft Religion beim Zeitmanagement? Wie wäre es, mal die Perspektive zu wechseln, es sich in einem bequemen Kinosessel im Weltall gemütlich zu machen und von dort aus auf das Treiben der Welt zu schauen. Was ist eigentlich wirklich wichtig? Wozu nehme ich mir Zeit und was lasse ich dafür sein? Zeitmanagement für Sterbliche bedeutet, nicht alles zu wollen, was möglich wäre. Dazu braucht man manchmal Abstand vom eigenen Leben im Hamsterrad, einen wachen Blick auf die Welt aus himmlischer Perspektive und das Bewusstsein dafür, dass unsere Zeit ein Geschenk ist, über das wir nicht grenzenlos verfügen. Zeitmanagement für Sterbliche könnte dann heißen, nicht immer mehr schaffen und machen zu wollen und das möglichst gleichzeitig. Vielmehr hieße es, die eigene Endlichkeit zu akzeptieren. Tschüss, Perfektionismus, befürchte ich. Aber dafür gewinnt das eine oder das andere Projekt vielleicht mehr an Tiefe. Das hat doch was!

Pastorin Kathrin Wiggermann, St. Michaeliskirchengemeinde, Diepholz